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  • Julian

Buchclub: Mohamed Mbougar Sarr - Die geheimste Erinnerung der Menschen

Aktualisiert: 9. Juli 2023

Mit „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ lieferte Mohamed Mbougar Sarr ein furioses Debüt auf dem deutschsprachigen Buchmarkt ab. Der Senegalese schickt im Roman seine Hauptfiguren auf eine epische Reise nach einem verschollenen Buchautor, der in den 30er Jahren einen Literaturskandal auslöste. Mbougar Sarr thematisiert französischen Kolonialismus und Rassismus auf dem Boden von über 100 Jahren Geschichte, zeigt aber auch die überwältigende Kraft, die in Kultur und Mystik des Senegals liegt.


Diegané ist angefixt. Der junge Autor senegalesischer Herkunft erfährt in der afrikanischen Diaspora von einem furiosen , aber verschollen geglaubten Buch von TC Elimane, der in den späten Dreißigern wochenlang Literaten und Kritiker beschäftigte. Über Freunde und Liebschaften erfährt er immer mehr über das mystisch aufgeladene Buch und das Schicksal seines Verfassers und stößt auf eine unglaubliche Lebensgeschichte, die die Grenzen seiner Vorstellungskraft sprengt.


„Der Zufall ist nichts weiter als ein Schicksal dessen Schrift man nicht erkennt.“ ist einer der zig Sätze, die hängenbleiben, beschreibt er doch die Kraft der Transzedenz und Mystik, die sich auf jeder Seite entfaltet. Dabei geht es in „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ im Kern um sehr weltliche Themen: Kolonialismus, Rassismus und dessen Verwerfungen, gerade auch auf dem afrikanischen Kontinent. Autor Mbougar Sarr montiert den Skandal um Autor Elimane als frühe Parabel auf die zeitgenössische Debatte über Identitätspolitik, die im Kern die Frage berührt: „Lesen wir Literatur nicht immer ich durch ihren historischen, politischen Kontext?“ Doch Mbougar Sarr stutzt seine Geschichte mitnichten auf einen Debattenbeitrag, er rollt die Geschichte groß aus und stellt Erzählkraft meisterhaft über Aktualität. Das liegt zum einen an Mbougar Sarrs brillanten Stil, aber auch an der Geschichte selbst, die gleichzeitig größer als das Leben selbst ist, aber auch zutiefst menschliche Themen berührt. Stolz, Liebe, Freundschaften, Verrat, Herkunft und vieles mehr.


„Die geheimste Erinnerung der Menschen“ entwickelt einen immer dunkleren Sog. Das Ziel der Suche, Elimane erscheint mal als literarisches Phantom, unheimliche Sphinx, als ungreifbarer Versteckungskünstler, dann wieder als nahbare Figur. Die Dinge, die man auf der Reise nach seinem Protagonisten lernt, lassen die Suche fast zu einer Nebensächlichkeit werden. Dass Mbougar Sarr die Spannung trotzdem hochhält liegt an seiner filigranen Erzählweise und einem ungewöhnlichen Gespür für Beschleunigung und Pausen der Erzählung. Die Grausamkeiten, die sich rund um die Geschichte wie Abgründe auftun, lassen trotz aller expliziten Beschreibungen, Platz für Imagination und das ist eine der vielen Leistungen des Buchs.


Obwohl das Buch in einem Zeitraum von über 100 Jahren spielt, weist die Themensetzung auch klar in die Gegenwart. In aktuelle Diskussion um Postkolonialismus und Rassismus passt das Buch sehr gut hinein, auch wenn Vordenker der Kolonialismuskritik wie Frantz Fanon hin und wieder durch das Buch zu geistern scheinen. Und das ist dann vielleicht auch ein subtiles Statement: Die Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Rassismus ist noch lange nicht vorbei, sie steht am Anfang. Das Kunststück von Mohamed Mbougar Sarr ist, dass er ein zeitloses Werk voller Transzendenz, Mystik und Erzählkraft geschaffen hat, das trotzdem den Weg in aktuelle Diskurse weist.

Mohamed Mbougar Sarr, "Die geheimste Erinnerung der Menschen", Hanser Verlag, 2022, 448 Seiten



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