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  • Julian

Buchclub-Essay: "Benjamin von Stuckrad-Barre - Noch wach?" und der Medienturm

Aktualisiert: 7. Feb.

Wie kaum ein zweiter surfte Benjamin von Stuckrad-Barre auf der Welle des Skandals um Axel Springer und Bild vor circa einem Jahr. Der damalige Chefredakteur Julian Reichelt schaffte es tatsächlich in diesem übermächtigen Turm der Niedertracht die eh schon laxe Moral zu unterkellern und flog, zwar mit Verzögerung, aber dann doch mit Pauken und Trompeten, raus. Wie ätzend das alles im Detail war, könnt ihr anderswo nachlesen. Für den Kontext zum Buch ist wichtig zu wissen, dass die reale Person Stuckrad-Barre einen Anteil am Bekanntwerden des "Falls" hatte, auch das bitte selbst ergoogeln.


Der Mephisto im Turm


"Noch wach?" hingegen soll ein Roman sein und als solcher ist er letztendlich auch zu lesen und zu bewerten. Das entstandene Sittengemälde jedoch ist, unter Umständen und ganz vielleicht inspiriert von realen Ereignissen um den (möglicherweise) Hendrik Höfgen seiner Generation, dem werten Herrn Chefredakteur. Stuckrad-Barre, seit fast 30 Jahren einer der prominentesten Autoren des Landes selbst arbeitete jahrelang für den womöglich gemeinten Verlag/Sender, was ihm neben einem Momentum auch ein paar abschätzige Blicke und Kommentare einbrachte. Machte aber nix, weil der publizistische und kommerzielle Erfolg von "Noch wach?" monumental ausfiel. Mittlerweile sind einige Monate vergangen und aus dem Turm heraus wird wie immer dreckige Wäsche gewaschen. Was also soll das alles, was passiert im Buch Neues und wie wird das Ganze aufbereitet?


Stuckrad-Barre bastelt seinen Protagonisten eine Art Parallel Montage ans Leib, ein Leben im Promihotel Chateau Marmont in LA und eines als Mitstreiter der Gerechten im verdrießlichen Wintergrau Berlins. Unser Held findet sich im Buch recht schnell an der Seite von Frauen wieder, die sich gegen den übergriffigen Chefredakteur wenden. Nach einigem Hin und Her soll der Sexismus am Arbeitsplatz und vor allem das monströse Machtgefälle samt Machtmissbrauch zu Fall gebracht werden und dafür werden in mühevoller Kleinstarbeit Frauenbünde geschaffen. Schnell wird klar: So einfach ist das trotz maximalem Bemühen nicht und die Machtachse im Turm zementiert sich trotz zwischenzeitlicher Hoffnung durch Leaks aus Übersee.


Neben der recht kurios wirkenden Allianz von jungen, aufstrebenden Frauen des Senders und dem alternden Schriftsteller, erzählt Stuckrad-Barre auch die Geschichte einer aufgekündigten Freundschaft zweier Millionäre bis Milliardäre, weil der eine auf die gute, aufklärerische Seite wechselt, während der andere mit allerhand Manipulationstricks und eiskaltem Kalkül die Machtverhältnisse in seinem Drecksladen aufrecht erhalten wird. Zwischen der Betroffenheitslyrik und den nächsten diabolischen Winkelzügen des Chefboss liegen oft nur ein Telefonat und eine moralische Entrüstung. Die Parallelen zur Realität sind so himmelschreiend wie plakativ, für eine echte Handhabe sind jedoch sowohl Autor als auch Werk "Too big to fail".


Enteignet Springer?


"Noch wach?" als hochgejazzten Schlüsselroman zum Fall zu beschreiben, ist eigentlich noch untertrieben. Es ist ein Begleitbuch, das in die Zeitgeschichte eingehen wird und das fernab jeder qualitativen Bewertung. Denn "Noch wach?" ist nicht Stuckrad-Barres Meisterwerk, nein es wirkt im Vergleich zu einem Buch wie "Panikherz" geradezu aseptisch, was auch daran liegt, dass all das im Prinzip "Stating the obvious" ist. Jede moralische Empörung, jede Überraschung wirkt doch unendlich naiv, angesichts der Realität. Und so liest sich "Noch wach?" wie eine neuaufgelegte Geschichtschronik, ist doch auch der Konflikt zwischen Progressiven und reaktionären Verlagen uralt. Längst brennen aber keine Zeitungsauslieferwägen, nein, der Niedergang der rechtsbürgerlichen Drecksschleuder steht diametral zum Aufstieg der rechtsidentitären bis rechtsextremen Gegenöffentlichkeit. Entsprechend muffig riecht der Totentanz, auf den Trümmern der rechtsbürgerlichen Medienkolosse. Wobei welche Trümmer? Deren Business ist sowieso so diversifiziert, dass der Journalismus eher eine symbolische und politische statt finanzielle Wirkmacht hat. Umso härter werden in der Konkurrenz zu noch weiter rechts stehenden Publikationen die Kulturkämpfe und die Grenzverschiebungen, die weit bis in die Mitte und progressive Hälfte der Polit- und Mediensphäre reichen. Ein endloses Trauerspiel, doch zurück zum vorliegenden Text.


Spott und Saviourkomplex


Der Roman zum Skandal oder Skandal zum Roman und dessen Hintergründe können wohl nie ganz aufgeklärt werden, was aber feststeht: Wie viele von Stuckrad-Barres Romane ist auch diese Geschichte süffig zu lesen und mit Begriffen wie Stuckrad-Barre-Wortschneuschöpfungen "Terminehabendes  Leistungsträgergeräusch" oder "laserzielfernrohrgenaue Charaktervermisstenanzeigen" gespickt. Der Stil ist sprachlich bekömmlich bis hilarious, gut und verdaulich arrangiert, im Stucki-Spott vorgetragen, der dem Autor seit jeher innewohnend und hier zwischen herzlich und beißend oszilliert. Mit Genugtuung sieht man dem Protagonisten dabei zu wie er nach oben tritt, also in Richtung der zwei Lackaffen(Chefboss und Chefredakteur) mit zuviel Macht. Geradezu ironisch wirkt der sprachliche Rausch, der die Abgründe der Selbstberauschung und die Banalität des Alltagssexismus beschreibt. Besonders bemerkenswert ist eine Szene, in der ein ranghohes Mitglied des Senders erklärt, dass er seine Töchter dort nicht arbeiten lassen würde. Diesen knallpatriarchalen Saviourkomplex auf die Rolle des Protagonisten des Buchs zu beziehen, ist der Boshaftigkeit womöglich zu viel, einer gewissen Ironie entbehrt diese Passage allerdings auch nicht.


Das ganze Elend der männlichen Dominanz so zu verdichten -, wie Richtung Ende des Romans- ist dann doch so bemerkenswert, dass man meinen könnte, dass selbst der vernageltste Macho checkt um was es geht: Frauen, die zu Objekten gemacht werden, die sexuellen, emotionale und machtgetriebene Projektionen und Dynamiken ertragen müssen, tief in Individuen und Strukturen eingebrannt und kübelweise eklatantes Unrecht.

Und das ist dann vielleicht auch die Botschaft, die wohlmeinende Progressive und vermeintliche "Allies" unbedingt mitnehmen müssen:"Check your privilege" und dann: Fickt das System.


Jeder Generation braucht ihren Max Goldt!


Man kann diesen Roman natürlich aber auch anders lesen. Hier die Moral: der Protagonist und seine Girls. Da die Sünde: der Medienturm und seine Führungsriege auf Feldbetten. Inwiefern diese Binarität zutreffend ist oder die Tragweite des Problems nach Lektüre dieses Romans verstanden wird, bleibt fraglich, aber zu ein paar Max Goldt-Momenten wird das Buch schon beigetragen haben. Das mag für alte Hasen der Medienbranche nach kaltem Kaffee schmecken, ändern tut sich maximal in Minischritten etwas, aber eine jüngere Generation wird schon neu imprägniert worden sein. Mit Ablehnung bis Abscheu für die internen und externen Abgründe des Turms.



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