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  • Julian

Schlingel Schnipsel #1 Ich mach´ Schluss

Aktualisiert: 30. Sept. 2022

Aber ein bisschen was geht noch. Zum Beispiel ein Sinnieren über den besten Moment für einen Abgang. Über Propaganda in Zeichen der Krisen und wie und warum sie langsam einsickert. Über die Zweite Staffel "Freitagnacht Jews". Über Konzerte und Musikkritik. Und Die Sterne!


Über den Absprung


Ihr kennt das bestimmt: Diesen Punkt, an dem man weiß, dass es eigentlich keinen Weg zurück gibt. Wenn der Kopf oder das Herz endgültig kapiert hat, dass es nicht weitergeht. Lange war ich damit beschäftigt im privaten Bereich diese Grenze klar zu kriegen. Aber je besser es einem in dem Bereich geht, umso mehr wandert der Zweifel in andere Bereiche. Zum Beispiel in den Bereich der Beschäftigung.


Es ist wie so ein Äffchen im Kopf, das immer sagt: Jetzt reicht es aber wirklich. Diesmal geht es nicht weiter. Es ist echt anstrengend in einem Meer an Möglichkeiten die richtige Balance aus ankommen und weitergehen zu finden. Denn so eine persönliche Grenze ist halt in Wahrheit oft willkürlich bis ausgedacht oder zumindest ja nach Tagesform, Schlafhygiene und allgemeinem Wohlbefinden veränderbar und so teils erheblichen Schwankungen unterworfen. Ich bin in diesem Fall eigentlich ganz bei meiner Zweitlieblingsband der Hamburger Schule(Zur Erstlieblingsband weiter unten mehr) Tocotronic. Die haben mit "Im Zweifel für den Zweifel" ein Manifest des Zauderns geschaffen. In diesem Song steckt so viel Wahrheit und Schönheit und Bejahung des Chaos.

Hier gehts lang:


Über die Beschissenheit der Dinge


Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich führe im Moment sehr viele Diskussionen mit sehr vielen, ganz unterschiedlichen Leuten(Linken, Rechten, Friedensbewegten, "Unpolitischen") zum Thema Krieg in der Ukraine und ich bin immer sehr müde danach. Das liegt zum einen an dem heftigen Thema, zum anderen daran, dass ich das Gefühl habe, dass viele Leute auf sehr einfache Propaganda-Tricks reinfallen. Man kann selbstverständlich unterschiedlicher Meinung dazu sein, wie weit die Unterstützung der Ukraine gehen soll und ob sie die Lieferung von Waffen beinhalten sollte. Aber lang und breit wird mir immer wieder erklärt, wie die Russen doch eigentlich die Opfer sind und warum der Westen Schuld an allem sei. Auf den Hinweis, dass niemand die russische Armee außer die russische Regierung selbst gezwungen hat ein anderes Land zu überfallen, wird das Ganze in einem Halbsatz eingeräumt und bedauert, aber dann immer monologisiert von Einkesselung Russlands durch die Nato gesprochen und von den Faschisten in der Ukraine. Meinungsforscher schätzen, dass es um die 30 Prozent der Deutschen sind, die denken man solle Sanktionen und Reaktionen auf diesem Krieg einstellen. Tendenz steigend.


Einerseits einzusehen bei der sich zuspitzenden Lebenskostenkrise, aber es ist schon einigermaßen entrückt dies allein auf die Sanktionen zu schieben, wenn 1. Inflation schon davor da war und unterschiedliche Ursachen hat 2. ein globales Wertschöpfungssystem gerade vor unseren Augen kollidiert und 3. man erwartet, dass der brutale Übergriff einer Imperialmacht auf einen viel kleineren Nachbarn in einer globalsierten Welt einfach ohne Antwort bleiben soll. Manchmal frage ich mich, warum nicht mit der gleichen Verve gegen den aggressiven, russischen Imperialismus argumentiert wird wie damals gegen den westlichen Imperialismus z.B. bei den Kriegen in Afghanistan und Irak.


Es gibt noch einen anderen eher philosophischen Aspekt der mich beschäftigt. Die Frage was schwerer wiegt: Das Sichern von Menschenleben oder das Sichern von menschenwürdigem, einigermaßen freiem Leben. Darum geht es in der Diskussion im Kern nämlich. Rechtfertigt der Kampf um größere(nicht absolute!) Freiheit die Verlängerung eines Krieges? Sind die Prognosen sogenannter Experten wirklich zutreffend, dass ein unterlegener Gegner auf kurz oder lang den Krieg verlieren wird? Ist es das wert, dass mehr Leute ihr Leben für bestehende Hegemonien lassen!?

Es geht um die Frage ob ein Land, das mit all seinen Fehlern, Abgründen und Ungerechtigkeiten einigermaßen selbstbestimmt bleibt oder unter die Knute von einem Regime kommt. Einem Regime, das tausendfach bewiesen hat, dass Pluralismus, Selbstbestimmung der Menschen und Bürgerrechte bekämpfenswerte Ziele sind. Womit wir beim Thema Iran und den Protesten dort wären. Aber das ist eine andere Geschichte, die hier demnächst auch nochmal aufgerollt wird.


Über die Juden


Daniel Donskoy kann mal wohl getrost als eine Art Dandy des 21.Jahrhunderts bezeichnen. Der Schauspieler, Moderator, Regisseur und Sänger hat bei der ARD eine Sendung namens "Freitagnacht Jews". Diese Sendung kann getrost für sich beanspruchen neue Wege zu gehen. Es geht um die Frage: "Was bedeutet Jüdisch sein heute?" In der ersten Staffel hat er sich mit einigen Persönlichkeiten aus Kultur, Medien und Politik getroffen, die sich mehr oder weniger dem Label "jüdisch" zugehörig fühlen. Die Sendung ist ziemlich außergewöhnlich und geht neue Wege und wurde mit ein paar Preisen ausgezeichnet. Die zweite Staffel ist gerade angelaufen und begleitet Donskoy auf dem Weg durch Weltmetropolen auf der Suche nach Antworten auf die oben genannte Frage. Je mehr man davon sieht, desto diverser wird das vermittelte Bild und damit ist ja schon einiges geschafft. Die erste Folge spielt in London und bringt Bestsellerautor David Baddiel und Musikerin Dana Margolin von Porridge Radio an einen Tisch. Die beiden blicken sehr unterschiedlich auf ihre britisch-jüdische Identität und so entspinnen sich interessante Diskussionen. Kann man sich gut ankucken!


Über die Volten von The Mars Volta


Die Älteren unter euch werden sich vielleicht erinnern: Anfang der 2000er war The Mars Volta, maßgeblich geprägt von Cedric Bixler-Zavala und Omar Rodiguez-Lopez ganz heißer Scheiss. Es gab zwar schon damals Leute, die in dem Zusammenhang mit der Band, die u.a. aus At the Drive-In Mitgliedern bestand, von "Der Mars-Folter" sprachen. Ich aber war damals komplett aus den Angeln gerissen. Im positiven. Das Album " De Loused in the Comatorium" habe ich damals überall mit hingeschleppt(In einem Discman). Die Platte ist eine Mischung aus Post Hardcore, Prog Rock, Polyrhythmik, hysterischen Stimmen und wurde u.a. von John Frusciante und Flea eingespielt. "Cicatriz Esp" ist ein 12-minütiges Biest von Song:



Neulich brachten sie ihre neue Platte raus, die ganz anders ist als die ersten Platten. Ich bin wieder echt begeistert. Mehr dazu bald.


Über die Grenzen der Musikkritik


Wisst ihr warum ich nicht hauptberuflich Musikkritiker geworden bin!? Also neben der Tatsache dass die entsprechenden Jobs sich ungefähr so reduziert haben wie Schneetage im deutschen Winter!? Weil es mir fast unmöglich ist, eine künstlerische Darbietung als solche grundsätzlich kritisch zu sehen. Klar gibt es glattgebügelte Konservenmusik, aber ist das wirklich schlecht!? Nur weil mein Initialreiz etwas ausgeleiert ist!? Letztens hatte ich so einen Moment, indem ich die Sinnhaftigkeit der Musikkritik in Frage stellte. Beim ausverkauften Konzert von Provinz, über deren neue Platte ich eine Rezension schrieb. Provinz macht schöne Musik, aber richtig berühren tut mich das nicht auf Dauer. Wenn ich aber sehe, dass 3000 Leute schon vor dem Konzert in der Columbiahalle in einen Jubeltaumel verfallen und in der Folge Songs, die eine Woche veröffentlicht sind in der Mehrheit mitsingen, wie könnte man das hassen!? Provinz ist vielleicht das prominenteste Beispiel für eine Band deren Ruhm blöderweise mit dem Beginn der Pandemie zusammenfiel. Und die es trotzdem schaffen die Columbiahalle auszuverkaufen. Erzählt mir die Band irgendwas was zu mir spricht !? Kaum. Ist sie eine besonders gute Liveband!? Kann schon sein aber die Show hatte auch Höhen und Tiefen. Was sind also die objektiven Kriterien!? Ihre anfänglichen Tonprobleme bekamen sie schnell in den Griff und da hab ich in der Columbiahalle schon ganz andere Band abkacken sehen. Gab es viele Verspieler!? Jedenfalls nicht auffällig viele. Haben sie es geschafft die Leute von ihren Smartphones zu zerren!? Nein, aber das liegt einfach daran dass dies die natürliche Verlängerung dieser Generation von Konzertgängerinnen ist. Also: Provinz sind eine Band die man mögen oder halt nichts mit deren Musik anfangen kann. Und nach zweieinhalb Jahren Pandemie in denen solche Konzerte zu spielen ein absolutes Privileg geworden ist, ist es vielleicht auch nicht angemessen Verrisse zu schreiben. Nach 40 Minuten bin ich trotzdem gegangen.

Zu The Soft Moon im SO36 und oh Boy wie krass das war. Der düstere Postpunk/ Industrial Wave von Soft Moon entwickelt einen Sog der jeden reinzieht, egal wieviel man vom Backkatalog kennt. Dieser Cold Wave passt zu einer dystopischen Grundstimmung, die zur Realität geworden ist. Wenn du die Augen bei einem The Soft Moon Konzert schließt, siehst du verrostete Gasturbinen und Nebelschwaden, einen Tag der nicht hell werden will und eine Nacht, die nur schwach beleuchtet ist. Tatsächlich hat diese Form von Musik mehr zu mir gesprochen als der Überwältigungspop a la Provinz. Und da wären wir wieder beim Thema Stimmungslage und dass sich daran die Wahrnehmung von Musik orientiert. Vielleicht geht es bei der Musikkritik auch gar nicht um die Wertung, sondern um das Beschreiben eines Grundgefühls, das bei einem Konzert oder einer Platte vorherrscht. Und das dann für Leute zugänglich machen, die nicht dabei waren oder eine Form der Orientierung nutzen können, um das Gehörte einordnen zu können.


Über Die Sterne


Was ein Glück, dass es diese Band noch gibt. Es stand wohl vor ein paar Jahren nicht gut um die Band und dem Vernehmen nach war sie kurz vor der Auflösung. Doch die Großmeister des Eklektizismus Die Sterne haben sich neu erfunden. Mit einigen Besetzungswechseln und einem neuen Soundkonzept, das alte Richtungen aufgreift und Neues mit einwebt. Kurzum: "Hallo Euphoria" ist eine super Platte geworden. Meine Rezension ist noch taufrisch!


Das wars für diese Woche. Ich freue mich wie immer über Feedback oder Shares!


Bis bald,

euer J


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