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  • Julian

Theater: La Voix Humaine (Jean Cocteau) von Monstress Mess

Zum Auftakt des deutsch-französischen Theaterfestivals Le Lampenfieber interpretiert das Monsters Mess-Kollektiv und das experimentelle Sound Duo Ekheo "La Voix Humaine" von Jean Cocteau als Theater-Parallelmontage und Soundperformance im Acud neu. Eine furiose und mehrdimensionale Erfahrung!


In einer schier unüberschaubaren Anzahl an umwerfenden Szenen, gibt es eine die besonders heraussticht und eine besondere Form der Transzendenz schafft. Mitten im Stück schauen sich die zwei Protagonistinnen, Jula aus der Jetztzeit (gespielt von Judith Shoemaker), Suzanne aus der Zeit der Entstehung der Vorlage von Jean Cocteau im Laufe der 30er Jahre(gespielt von Lucie Aron) an und stellen das einzige Mal eine explizite und für alle sichtbare Verbindung her. Die zwei Stränge von "La Voix Humaine" laufen während des gesamten Stückes einer Parallelmontage im Film ähnlich, neben-, auf- und untereinander. Beide Ebenen unterstreicht Ekheo mit Mitteln der Effekte, Live-Komposition und der Stimmverfremdungen.


Lucie Aron mimt mit Suzanne den historisch akkuraten Strang mit Wählscheibentelefon, Minibar und Satinnachthemd. Judith Shoemaker spielt im Glitzertechnoraveoutfit und mit Vibrator und durch EC Karten gelegten Lines. Und dabei entstehen erstaunlich viele Parallelen: Beide Protagonistinnen sind schwerst abhängig von Alkohol und mehr noch: vom Zuspruch der Anderen. Schier am Rande des Nervenzusammenbruchs sind die zwei Protagonistinnen, wenn die Verbindung zusammenbricht, weil in ihr auch das eigene Spiegelbild zersplittert. Überhaupt ist die fehlende Präsenz des Gegenübers ein Motiv, das zum radikalen Blick auf die Protagonistinnen zwingt, gleichzeitig jedoch die Frage nach dem Aussen und seiner Rolle für das explizite Drama aufwirft. Gefiltert durch die Meltdowns der Figuren werden also die Bedingungen der Zustände als Schatten an die Wand geworfen.


Die Trennung funktioniert hier als maximales Melodrama, das zwar universell und generationenübergreifend Schrecken verbreitet, aber in seinen Konsequenzen trotzdem ein Schlaglicht wirft auf die unterschiedlichen Rollen der Frau. Die postmoderne Jula von heute kann durch moderne Kommunikationsmittel, eine vermeintlich größere gesellschaftliche Freiheit und einem realen Notausgang aus den Zwängen des Patriarchats zumindest mehr entgehen, als die kasernierte und hoch verzweifelte Frau der 30er Jahre, die in einem goldenen Käfig die ganze Brutalität des Patriarchats und seine durchschlagende Wirkung illustriert. Suzanne im Escape Room ohne Ausgang, die zeitgenössische Frau, zwar verloren in einem Meer an Möglichkeiten, aber nicht mehr ganz so gefangen in den Klauen des Patriarchats. Und so wird das dystopisch wirkende Stück zu einem kulturpositivistischen Manifest. Bildet das die Realität ab? Vielleicht in Teilen.


Das schauspielerische Handwerk ist auf beiden Seiten von extremer Intensität, wobei Lucie Arons Interpretation der originalen Cocteau´schen Figur noch kräfteraubender wirkt, während das Spiel von Judith Shoemakers zeitgenössischer Figur variantenreicher ist, was auch als Parabel auf real existierende Verhältnisse verstanden werden kann. Regisseurin Rebecca Scott hat die zwei Rollen und ihre durch Soundeffekte akzentuierte Persönlichkeitsanteile nach dem Modell des IFS (Internal Family System) aufgebaut und geordnet. Das IFS ist eine Methode der Evidenz-basierten Psychotherapie und integriert verschiedene Persönlichkeitsanteile und deren Rollen für ein besseres Verständnis für das Selbst. Diese Rollen innerhalb der Protagonistinnen werden im Stück durch die Soundebene, die vom experimentellem Duo Ekheo kommt, unterstrichen. Ekheos Effekte (Delay, Flanger, Reverb), Verfremdungen und Sound Design gibt dem Stück einen surrealen Charakter und staffiert den Trip in die Psyche der Figuren als mehrdimensionalen Fiebertraum aus, der nicht selten in einer noisigen Kakophonie endet.


"La Voix Humaine" funktioniert auf vielen Ebenen hervorragend und arbeitet bewusst und gekonnt mit Motiven aus Psychologie, Soziologie und Zeitgeschichte. Den kulturhistorischen Stoff von Jean Cocteau mittels hervorragendem Sound und einer weiteren Schauspielebene in die Jetztzeit zu transferieren ist herausfordernd, endet aber in einer erstaunlichen Stimmigkeit. Chapeau!


6./7. Oktober, Brotfabrik Berlin, 20 Uhr


"La Voix Humaine" (nach Jean Cocteau) eine Produktion von Monstess Mess-Theaterkollektiv

Regie: Rebecca Scott

Schauspielerinnen: Lucie Aron und Judith Shoemaker

Sound: Ekheo (Aude Langlois & Belinda Sykora)

Movement Director: Manuel Finke

Lichtdesign: Claudine Castay

Produktionsassistenz: Nicki Schwenner



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