- Julian
Platten, die die Welt bedeuten: King Gizzard & The Lizard Wizard - Sechs Releases
Es muss so verdammt viel Spaß machen bei King Gizzard & The Lizard Wizard zu spielen. Allein in diesem Jahr erschienen sechs Veröffentlichungen auf Albumlänge. Die Australier geben seit jeher einen feuchten Dreck auf übliche Promomechanismen und sind trotzdem oder gerade deswegen erstaunlich erfolgreich. Das fängt beim Bandnamen und Albumtitel an, der nicht in die Zeile passte, geht aber auch weiter, was musikalische Richtung und Releaseintervalle angeht.
Der sich ständig erweiternde Kern von KG(der Einfachheit halber mal so abgekürzt) ist heavy riffender Psychedelic Rock. Manchmal mit einem Bein im Stoner Rock oder Heavy Metal, dann wieder in krautigen Spinnereien. In jedem Fall scheinen immer die Siebziger Jahre durch. Aber da bleibt KG eben nicht stehen, sondern dreht Pirouetten und erscheint bei jeder Umdrehung im neuen Kleid. Das kann mal groovy werden, dann heftig funky, nur um nächsten Moment wieder zig Minuten lang auf einem Riff abzugniedeln. Heftigster, freidrehender Gemütsjazz quasi. Spinnert noch dazu. Neulich veröffentlichten sie wieder sechs Alben innerhalb von 10 Monaten. Und als ob dies nicht schon des Wahnsinns fette Beute genug wäre, sind die auch alle durchgehend gut hörbar. Aber natürlich aus Fansicht schon auch unverschämt. Es ist sehr viel Holz, was gehackt werden will. Also wollen wir mal.
Laminated Denim(VÖ: 12.Oktober)
Die zwei exakt 15-minütige Kompositionen zeichnen sich durch vertrackte Arrangements aus, die zum einen Slidegitarren-Blues als Referrenzgröße heranziehen, zum anderen ausfransenden Wah-Wah-Kraut Rock. Dazu sonnige Soft Rock Riffs, die Ende der Siebziger jedem Segelbootdeck gut zu Gesicht gestanden wären. Das Laut und Leisepiel wird in den zwei Kompositionen im Jamrock-Gewand zelebriert, überhaupt ist das Gitarrenspiel die große Spielwiese für KG´s Jamkunst. Eine Spur härter und auch introvertierter gehts beim zweiten Stück der Platte zu. "Hypertension" ist quasi die Nachtversion des Openers und wagt sich an warm verzerrte Gitarren und psychedelische Chöre. Nicht minder trippy, aber auch mit ein wenig mehr Wumms.
Omnium Gatherum (VÖ: 22.April)
Ne Spur oder vielleicht auch zwei Spuren härter geht es zu auf dem Opener von Omnium Gatherum, das mit heftigsten Heavy Rock Gitarren und Uptempo Drums beginnt, dabei zwar ähnlich psychedelische Höhen erklimmt, allerdings mit einem Dieselmotor unter dem Sitz. Einen 18-Minüter als Opener muss man sich auch erstmal trauen. Was aber dann passiert, fällt unter die Kategorie unerwartet: Magenta Mountain kommt als Synthiebass getriebenes Dark Rock-Epos daher, das einen weit raus in den Weltraum schießt. Da schimmern sogar ein paar Jungle-Vibes durch, und ja damit ist die Band gemeint. Und nur um dem Konstanzfass den Boden auszuschlagen ist Gaia ein an Heavy Metal grenzendes, ja z.T. überschreitendes Brett von Musik. Gegrunze am Mikro inklusive. Und spätestens hier fragt man sich, ob das alles ein großer Witz sein soll, den man nur deswegen nicht versteht, weil man sich als Musikkritiker in seinem zwanghaft in Beschränkungen denkender Parzellenhaftigkeit befindet oder, und das ist durchaus eine Möglichkeit bei dieser Band, weil es einfach Irrsinn ist. Make it make sense. Zumal die Folgenummer Ambergris nicht etwa eine Hommage an die gar nicht mal so hässliche bayerische Stadt in der Oberpfalz ist, sondern ein sanft plätscherndes, bekifft slapbassendes Kleinod ist. Wieder wähnt man sich auf einer Yacht an der Westcoast so um das Jahr 1979 rum. Ja wie denn nun!? Und gerade wenn man sich fragt, was das denn alles soll, kommt KG mit einem übersteuerten, grottig aufgenommenem Raprock-Stückchen um die Ecke. Crossover zu Ende gedacht. Gefolgt von Evilest Man. Wieder mit so einem feinen Synthiedada ausgestattet und doch ganz KG. Danach kommt "The Garden Goblin" ins Spiel. Ein Lo Fi Space Rockstück mit Vogelstimmen und seltsamen Samples ausgestattet. Brauchts des? Und vor allem: Wer soll da noch mitkommen? Aber vielleicht müssen wir das auch nicht, vielleicht sollen wir auch einfach überwältigt werden. Und spätestens hier wird der Versuch dieses Album zu besprechen, abgebrochen. Hört es euch einfach an. Es hat so viel Schönheit, so viel Irrsinn, so viel Spieltrieb und ganz viel Wärme zu bieten.
Changes(VÖ: 28.Oktober)
Die vorerst letzte Platte beginnt mit einem lässig fläzenden Jazzrockstück, passend Change betitelt. Cup, das ist auch wieder anders. Der Bass stellt sich in den Jazzclub, die Orgel macht einen synkopischen Abstecher nach Brasilien, während das Schlagzeug sich als Percussion geriert. Und es groovt einfach wiad Sau. Die Orgelklangfarben retten KG rüber in "Hate Dancin" und auch die Mittel bleiben konsistent. Welch Wohltat nach der Sprunghaftigkeit der letzten Platten. Hate Dancin kommt mit einem wunderschönen diatonischem Aufstieg und einem Crescendo daher und traut sich stimmlich ganz in den Pop. Und dann kommt "Astroturf", ein mit Flöten, Streichern und Bläsern angereichertes Funkmönsterchen. Ohne Afrojazzschlagzeug kommt aber auch dieses Stück nicht aus und das ist gut so. Denn in der Vertracktheit der Polyrhythmik findet sich eine Menge spinnert-schönes. Gerade als man denkt, jetzt plätschert es aber doch ganz schön, kommt Gondi. Bei Short Change schält sich aus dem Arpeggio ein verzerrtes Stück Jamrock. Himmlisch.
Ice, Death, Planets, Lungs, Mushrooms and Lava(VÖ: 7.Oktober)
Fast schon konservativ kommt hingegen die "Ice"-Platte daher. Zwar finden sich auf vielen Songs Schnörkel und Volten, aber eben auch deutlich die üblichen KG Zutaten: Spinnerte, manchmal kreischende Gitarren, groovy und herrlich schräge Schlagzeuggrooves und ausufernde Jammomente. Bei allen Umwegen und Extrarunden, die KG dieses Jahr gedreht haben, tut diese vergleichsweise sanfte Ausgestaltung des Albums gut. Mit "Ice V" oder "Magma" sind die epischen Songs der Platte auch recht schnell ausgemacht, insgesamt hängt eine krautige Grundstimmung über fast allen der Songs. "Gliese 710" treibt den Kraut mit Flöten, trippigem Text und spontan wirkenden Arrangements auf die Spitze. Eine KG Platte wie aus dem Lehrbuch!
Made in Timeland(VÖ:5.März)
Anders trippy ist die Single Timeland, die mit einem schleppenden Sample und breitflächig und psychedelisch ausgelegten Popappeal anfängt, wobei die Synthies die Achtziger andeuten, bis auf einmal ein Acid getriebener Protohouse-Track entsteht. Was ist hier los, fragt sich der geneigte KG-Hörer, eine weitere Facette? Doch der KG-Exzess hat noch ein paar weitere irre Wendungen am Start. Aus dem Protoelectronica-Geblubber entspinnt sich ein Ethnoflötenstück samt analogen Drums, nur um dann in einen grimmigen Housetune transformiert zu werden, der mit arabischen Popsamples aus den 70ern versetzt einen mystischen Vibe versprüht und noch dazu an der Zurechnungsfähigkeit der KG Arrangements zweifeln lässt. Oder halt an der Fähigkeit der Hörer das Dargebotene sinnvoll einzuordnen. Zwei weitere, unfassbare Fünfzehnminüter. Manche Musiker haben halt zehn verschiedene Bands, KG haben entschieden alles, was gefällt in eine Band zu stopfen. Ahja, es ist fast sinnlos das zu betonen, aber auf Timeland gibt es nochmal so drei bis vier Genrewechsel pro Sings oben drauf.
Butterfly 3001(VÖ:21.Januar)
Und als wäre das alles nicht schon des musikalischen Wahnsinns genug, veröffentlichten KG Anfang des Jahres ein Remixalbum, das mit Produktionen von vielversprechenden Newcomern und alten Hasen ausgestattet ist. In 21 Tracks gehen die Remixes dahin, wo KG nicht hingehen. Dass angesichts des Eklektizismus der Veröffentlichungen noch genug spannende Wege übrig bleiben, ist dann so wenig überraschend, wie voraussehend. Und so können wir getrost davon ausgehen, dass die irre Reise von KG auch in bisher ungeahnte musikalische Gefilde weitergehen könnte. Auf Butterfly 3001 jedenfalls lohnt sich das Namedropping der Produzenten durchaus: DJ Shadow, The Scientist, Flaming Lips, Kaitlyn Aurelia Smith, Fred P, Peaches. Musikalisch liegen die Stücken zwischen Electronica, DrumnBass, Dub, Experimental, Ambient uvm. Uff.
Fazit
King Gizzard & The Lizard Wizard sind ein Albtraum für Menschen mit Komplettierungsneurosen. Wie soll man bei diesem Output den Überblick bewahren? Gar nicht. Überwältigung als Prinzip. Und so kann dieser Trip durch die 2022er Welt von King Gizzard nur funktionieren, wenn man sich erinnert, wofür KG angetreten sind: Ausgetretene Pfade verlassen und einfach alle Scheuklappen hochziehen. Heraus kommt ein riesiges Universum, von dem man nur ahnen kann, dass es da auch Grenzen geben kann. Meine Prognose ist: Diese werden weiterhin konsequent erweitert. Es ist aufregend dabei sein zu können.