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  • Julian

🎸 Music picks : Erdmöbel - "Guten Morgen, Ragazzi"

Erdmöbel ist eine Band mit einem besonderen Klang, die bei mir große Erwartungen nach diversen brillanten Platten in den letzten 25 Jahren weckt. Vor ein paar Wochen bereits raus gekommen, habe ich mir ein wenig Zeit gelassen, denn die braucht man um das Phänomen Erdmöbel zu verstehen. Ich „lege“ „Guten Morgen, Ragazzi“ also auf und dann passiert auf einmal etwas, womit ich wirklich nicht gerechnet hätte, auch wenn es die ein oder andere entsprechende Spur in der Erdmöbel-Vergangenheit gab: Ich höre dubbigen Reggae. In jedem Fall Markus Berges Stimme in einem Tribute an First Wave Reggae, der gerade erst die Treppe vom Ska hinabstieg. So also beginnt „Guten morgen, Ragazzi“ Und Erdmöbel wären nicht Erdmöbel, wenn sie sich nicht an die selbst gegebene Messlatte in Punkto Qualität halten würden und gleichzeitig musikalisch Richtungen einschlagen, die seltsam tief und leichtfüßig zugleich behandelt werden. Sau schweres federleicht aussehen zu lassen, das ist generell ein Markenzeichen von Erdmöbel. Denn schon mit dem zweiten Song „Bernoulli-Effekt“ breitet sich luftiger Gitarrenpop über rheinischem Beach Boys Chor aus.


Ja und was soll man zu „Supermond“ dann sagen außer: Was für ein Hit! Höllisch-funkiger Slapbass, mäandernde Schlagzeuggrooves, Psychedelisches, Melodielinien aus einem Lehrbuch, das noch erfunden werden muss und die Stimme mit einem Bein im Vocoder. Selbstredend in Markus Berges´ entrückter Textsprache, die zwischen naiven Beschreibungen, verästelten Metaphern und einem sanftmütigen Sinn für schöne Melodien mit ausgefallenen Wörtern und Bildern changiert. Und so geht es weiter: Easy Listening mit komplexen Arrangements. Ausgefeilte Instrumentierung und einfache Hooks, Melancholie und gute Laune. Abstraktes und Konkretes. Doch zurück zu den Songs. Was passiert da genau?


Wir hören leichtfüßige Italien-Urlaub-Romantik in Flaschen bei „Felicita“, während die Gutmenschenhymne „Wir sind nicht das Volk(Lass sie rein)einfach, und klar Humanismus in Songform gießt.

Und schließlich ein Grande Finale mit den letzten drei Tracks. Was für eine Wonne zuzuhören wie Erdmöbel zur Hochform auflaufen: „Das Mädchen auf den Stufen“, ein soziales Drama als Song-Miniatur mit Zärtlichkeit und Poesie zu beschreiben liegt nahe und doch hat man das so selten gehört.

„Beherbungsverbot“ schon vor einiger Zeit als Single ausgekoppelt und natürlich eine Referenz zum Lockdown und auch gleich wieder nicht, denn hier geht es auf der Metaebene um Stil- und Sprachkritik, und wer könnte das kunstvoller als Markus Berges, der rheinische Feingeist-Dylan, quasi ein greifbarer Bob, ein inklusiver Robert Zimmermann, der einen anderen Hand nimmt und immer wieder sagt: Alles wird gut! Man merkt erst wie sehr man es gebraucht hat, wenn man es hört.

Und dann „Rosa Plastiktüte“. Ein Song, bei dem ich an die Plastiktüten Szene von American Beauty denken musste, auch weil eine ähnliche Melancholie über dem Bild schwebt. In erster Linie Berges macht aus wenigen sich wiederholenden Zeilen und einem selbst gesungenem Echo große Gefühle, schafft also einen emotionalen Zugang zu einer rosa Plastiktüte, die flüstert, herzustellen. Einfach wow.


„Guten Morgen, Ragazzi“ ist in seiner Gänze zum Weinen schön, jetzt schon meine Sommerplatte und ich empfehle euch nachträglich deren mehrmalige Ohrlektüre.







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