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  • Julian

Ich glotz TV #3: Bonn - Alte Freunde, neue Feinde

Die Bundesrepublik in den 50ern: Während sich weite Teile der Gesellschaft nach Vernichtungskrieg, Holocaust und Naziterror ins Private zurückgezogen haben, toben in den Institutionen der noch jungen Bundesrepublik Kämpfe zwischen alten Nazis, die in neuem Gewand ihre Seilschaften bedienen und progressiven Kräften, die die Nazizeit aufarbeiten wollen. Erstere gewinnen unter dem Eindruck des kalten Kriegs und neuen Feindschaften im Osten die Oberhand und lassen so tausende Nazikader ungesühnt davon kommen. Auch in den Geheimdiensten der BRD toben die meist verdeckten, doch manchmal auch offenen Kämpfe. In genau diesem Spannungsfeld spielt die ARD-Serie "Bonn-alte Freunde, neue Feinde".


Im Zentrum der Handlung stehen real existierende Personen wie Otto John(gespielt von Sebastian Blomberg), der erste Verfassungsschutz Chef und ehemalige Widerstandskämpfer gegen den Faschismus. Sein Gegenspieler ist Reinhard Gehlen(Martin Wuttke), der nach einer steilen Karriere in Nazideutschland mit dem Segen und tatkräftiger Unterstützung der USA den BND aufbaute.


Aus dem Machtkampf der beiden, entspinnt sich ein höchst spannender Agentenkrimi, in dessen Fokus die Jagd nach Naziverbrechern steht. Schnell wird klar, dass die alten Naziseilschaften in alle gesellschaftlichen Bereiche einwirken und die Konflikte nicht nur zwischen Generationen verlaufen, sondern auch zwischen Tätern und Opfern. Die Bundesrepublik der 50er Jahre hat zwar formal und politisch die Nazizeit hinter sich gelassen hat, watet aber trotzdem knietief im alten Faschosumpf.


Besonders das Leben und Wirken von Reinhard Gehlen ist dabei besonders zur erwähnen. Der Gründer des BND, machte sich zu Kriegsende mit einem schmutzigen Trick von seiner Verantwortung für Naziverbrechen frei und baute dann mit dem Segen der Amerikaner den westdeutschen Geheimdienst, als Bollwerk Richtung Ostblock auf. Gehlen steht dabei exemplarisch für die Re-Nazifizierung der 50er, die auf die Entnazifizierung folgte als Fachkräfte in Behörden, Unternehmen und eben auch Geheimdiensten benötigt wurden. So kamen tausende Nazis zurück in Amt und Würden, Prozesse gegen Naziverbrecher endeten mit skandalös milden Urteilen oder Freisprüchen. Nicht zuletzt der Aufbau der Gladio-Geheimarmeen, in der Serie als "Scipio" erwähnt, spielt eine unrühmliche Rolle im taktischen Verhältnis der Geheimdienste der 50er Jahre zu postfaschistischen Strukturen.


Spannend wird die Geschichte nicht nur auf der Jagd nach den Naziverbrechern, sondern auch wenn die Konflikte, wie bei dem jungen Liebespaar Freddy und Toni portraitiert werden. Freddy(Julius Feldmeier) ein aufstrebender junger TV Geräte-Verkäufer, sie (Mercedes Müller) Sekretärin bei Ex-Nazikader und Architekt des BND Gehlen, wo ihr langsam auffällt, was alles so unter den Teppich gekehrt wurde und vor allem, was ihr Vater damit zu tun hat. Hier zeigt sich exemplarisch ein Grundkonflikt der 50er, in der auf der einen Seite die Sehnsucht nach Normalität und der Rückkehr ins private Glück stehen und auf der anderen Seite die Aufkündigung des Schweigens und der Wunsch nach Aufklärung der unfassbaren Naziverbrechen.


Pluspunkte sammelt "Bonn" bei der Montage undurchsichtiger Charaktere wie dem traumatisierten Agenten Wolfgang, fantastisch gespielt von Max Riemelt und auch bei der geschickten Verdrahtung des Privaten mit dem Politischen. Zwar sollte es noch bis Ende der 60er Jahre dauern, bis das Schweigen im Zuge der 68er Bewegung endgültig aufgekündigt wurde, aber der Weg dahin ist mindestens genauso spannend.

Und so vermag "Bonn- Alte Freunde, neue Feinde" die Gesellschaft und die Geheimdienste im Nachkriegsdeutschland besser zu erklären als der ambitionierteste Geschichtsunterricht.




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