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  • Julian

Ich glotz TV #2: Bardo

Schon seit Jahren gehört Alejandro González Iñárritu zu den Fünf Sterne-Regisseuren und hat mit seinen Filmen wie Birdman, Biutiful, 21 Gramm oder The Revenant massenweise Reputation angehäuft. Sein neuester Streich Bardo ist auf Netflix erschienen und beschäftigt sich mehrdimensional mit der mexikanischen Gesellschaft und deren Grenzgängern, die zwischen der Diaspora in den USA und der mexikanischen Heimat pendeln. Ein surreales, wunderschönes und bedrückendes Spektakel!


In einer Flut an beeindruckenden Szenen und fantastischen Bildern, die in Bardo stecken, ist es schier unmöglich irgendwas herauszugreifen. Aber wenn es eine Szene gibt, die das Groteske, das Surreale an Inarritus neuem Werk Bardo besonders illustriert, dann ist die Szene in der Protagonist Silverio Gama, in einem seiner (Alb-)Träume mit dem spanischen Großinquisitor Hernan Cortes einen Streit über Kolonialismus und dessen gewaltsame Unterwerfung der Indigenen des späteren Mexikos führt. Dabei sitzt er (vermeintlich) auf einem riesigen Berg voller Leichen, die den mörderischen Raubzug des spanischen Kolonialismus symbolisiert. Wie Inarritu die Szene auflöst ist so spektakulär, dass man sich kaum entscheiden kann, ob das jetzt kompletter Irrsinn oder einfach nur grandios ist.


Solche Momente des Traum- und Trauma-haften gibt es viele in Bardo.

Im Zentrum steht der gefeierte Journalist und Dokumentarfilme Silverio Gama, der in einer fetten Midlifecrisis steckt. Die Frau ist genervt, die Kinder zählen ihn an, die Mutter schwer in die Jahre gekommen und er selbst irrlichtert durch sein Leben und von Szene zu Szene. Gama befindet sich im Limbo zwischen dem vermeintlich friedlichen Kalifornien und der Heimat Mexiko, das in all seiner Multipolarität gezeigt wird.

Aber Bardo ist auch ein Porträt eines Mannes, der in einer im schlechtesten Sinne hypnotischen Transitzone gefangen ist. Silverio Gama, der an ein aufgescheuchtes Hühnchen erinnert und wohl zumindest teils Iñarritu selbst portraitiert, ist einsam inmitten von Menschen, die etwas von ihm wollen: Aufmerksamkeit, Erziehung, Empathie, Ausweispapiere.


"Manchmal denken wir wir sind von mehr als von einem Ort, aber in Wahrheit sind wir von nirgendwo."


Was den Film so besonders macht, ist Iñarittus filmische Rückkehr nach Mexiko.

In Bardo ist Mexiko als Land überwältigenden Schönheit, reicher Kultur, unheimlicher Mystik und vibrierender Magie inszeniert, aber eben auch als Albtraum mit Gated Communities, verzweifelten Menschen auf dem Weg Richtung Norden, einer massiven Ungleichheit und Schauplatz unsagbarer Verbrechen.


Im Film gibt es eine Szene, indem der neueste Film von Silverio bei einer Premierenparty gezeigt wird. Darin zählt ein inhaftierter Narco das Unvermögen und die Seelenlosigkeit der herrschenden Klasse an. Direkt nach Ende des Films wird Silverio gefeiert und eine protzige Party wird zu einer Art ausgelassenem Totentanz. In einer anderen Szene fallen auf einmal Menschen auf der Straße um, erst eine, dann immer mehr. Der örtliche Pastor sieht distanziert zu, während Silverio in einen albtraumhaften Strudel gerät, der auf einem Leichenberg endet.


Nein, Bardo ist nichts für schwache Nerven, aber eben auch ziemlich groß. Die Transzendenz, die Inarittus Filme stets innewohnt und die ihn im magischen Realismus verortet, dreht angesichts des Sujets und des Spielorts, Mexiko, noch mal einige Runden mehr. Inarittu seit jeher ein Meister der "besonderen Filme" die in sich einzigartig, in denen aber auch das übernatürliche mal mehr, mal weniger betont wurde. In Bardo, so scheint es, hat Inarittu jetzt sämtliche Zügel losgelassen und produziert unwirkliche Szenen subliminaler und offensichtlicher Schönheit. Die Bildkomposition erinnert nicht selten an die Kunstwerke surrealistischer Meister, das Spiel von Helligkeit und Dunkelheit ist meisterhaft umgesetzt. Und wie wenn es das einfachste der Welt wäre, webt Iñarittu multithematischen Sozialrealismus, intim-persönliches Familiendrama und lakonisch Komödiantisches ineinander und kreiert dabei etwas unfassbar Anrührendes und Wertvolles.







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