top of page
  • Julian

Bands, die die Welt bedeuten: Geese

Hey Google, nenne mir den zur Zeit heißesten Scheiss in Sachen Rockmusik, der noch unter dem Mainstreamradar fliegt. Die Chancen stehen hoch, dass der Algorithmus die New Yorker Band Geese ausspuckt.


Was ist Können? Was ist Pose? Wieviel Perfektion braucht Musik? Wie breche ich mit Dogmen? All diese Fragen scheinen Geese anzugehen. Musikalisches Können ist grob vereinfacht das Beherrschen eines Instruments und die Fähigkeit dies in unterschiedlichen Kontexten abwandeln zu können. Der in der Rockmusik ausgeprägte Hang zum Schwanzvergleich bezieht sich in dieser Lesart auf das Zurschaustellen des eigenen Könnens und der bestmöglichen Darstellung dessen. Geese erfüllen und unterlaufen dieses Dogma mit ihrer Herangehensweise aufs Kolossalste. Irre Sprünge, unhörbare Kakophonie, eine ambivalente Unernsthaftigkeit, die mal ins Groteske übersteigert wird, dann wieder völlig unironisch lesbar scheint und dazu eben Können: grandiose Melodien, astreine Technik, ein Referenzfeuerwerk.


Vielleicht braucht die Rockmusik, die sich seit einiger Zeit in einer Sinnkrise befindet, eine Band wie Geese oder auch die Brüder im Geiste black midi oder Squid mehr als andersherum. Auch bei den Partisan Records-Kollegen black midi und Squid ist die Dekonstruktion des Mackertums allgegenwärtig. Die maximale Distanz zum eigenen Können durch gekonntes Dilettantentum spürbar, die ihren Ursprung in der geradezu weisen Erkenntnis zu haben scheint, dass die fragile Existenz auf diesem Planeten ein viel zu großer Witz ist, um sich ernsthaft in Könnerposen zu werfen und Klischees zu erfüllen.


Aber wann wird auch diese Absage an die ehernen Grundsätze der Rockmusik selbst zur Pose? Genau hier liegt das Dilemma von Geese. Aber weil eben gerade ein Hype geritten werden will und Musikfreaks auf der ganzen Welt der Mund offen stehen bleibt, muss man sich halt irgendwie positionieren. Grandios ist dies zu betrachten beim exklusiven Konzert für die US-amerikanische Version von Rolling Stone. Geese, die live zum Sextett inklusive Synths anwachsen, legen in der knappen halben Stunde eine dermaßen verschrobene Extravaganz aufs Parkett, dass man fast schon vergisst, welch monströser gordischer Knoten hier gerade zerschlagen wird. Die Songs bleiben zwar voll erkennbar, als die meisterhaften Epen, die sie sind, werden aber dank jeder Menge Lust zur Distortion und Dissonanz zu einer Art Soundinstallation, die im theatralischen Overacting(?) von Sänger Cameron Winter vollends zur Performancekunst metamorphiert. Geese vertraut voll und ganz auf die Wirkmacht der eigenen Ideen und können so dekonstruieren, übersteuern, ja übertreiben, dass es einem zuweilen vom Sitz reißt. Dieser künstlerische Anarchismus und der zuweilen respektarme Umgang mit der eigenen Rolle macht Geese so interessant und immer relevanter.




Geese sind dabei aber keineswegs Neuerfinder, nein sie stehen ganz hörbar in der Tradition von Americana, Screamo und Hardcore aber eben auch von Gitarrenbands wie Beatles oder dem New Yorker Best Of, der Granden wie Television und vor allem der anderen großen NY-Indieband, die vor über 20 Jahren einen Wahnsinns Retrohype losgetreten hat. Geese könnten in Geschmack, Coolness und Stimme einfach The Strokes 2.0 werden, aber es ist eben nicht mehr 2001, sondern 2023 und die Kids von heute sind nicht mehr die Post Boomer Kids von damals und deswegen ist das trotz unverkennbarer Parallelen ein ganz anderer Vibe.


Winter kratzt, kreischt, flüstert, fleht und knibbelt an seiner eigenen Stimme herum, als wäre es das letzte, was er tut, als würde es da nicht um die stimmliche Gesundheit eines Goldkehlchens mit einer beeindruckenden Bandbreite gehen würde. Drummer Max Bassin gibt den sackencoolen Eintrommler, der alles unter Kontrolle hat, auch wenn er gerade mal wieder bisschen weggetragen wird vom eigenen Spiel. Sein kongenialer Rhythmusbruder Bassist Dom DiGesu hat trotz seines jungen Alters eine beeindruckende Virtuosität am Start, während die Gitarristin Gus Green und Gitarrist Forster Hudson das ganze Repertoire auspacken, von kreischen bis sägen, von grooven bis hacken, von solieren bis riffen.


Achja: eine Platte, "3D Country", die zweite nach "Projector" wurde am Freitag auch noch veröffentlicht und natürlich ist sie multidimensional und toll geraten, gießt sie doch alles oben genannte in das gute alte Albumformat. Spielt natürlich gut in die transzendente Widersprüchlichkeit einer Band, die an Rock-Dogmen rüttelt. Aber eben nicht um sie zu zerstören, sondern um die Grenzen des Genres so zu erweitern, dass eben alles seinen Platz hat. Völlig irre Wendungen, Skalen-Weirdos, Genre-Überwinder, ein extensiver Jambandansatz, Queerness, Grooves ohne Ende, experimentell-künstlerische Verdeutlichung und eine erzählkräftige Poesie. Winter erzählt leitbildgebend von einem Cowboy, der orientierungslos durch sein Leben und die zerfallende Welt, aber eben auch durch ein Land stolpert, das zu seiner eigenen Karikatur wird. So explizit würde Winter das nie texten, aber es schwingt eine paranoide und abgründige Grundnote in vielen Texten mit, die sich im persönlichen Bann bricht. Liebeslieder schreibt Winter auch noch in subliminaler Schönheit. Nebenbei hat der Sänger ein unheimliches Gespür für komplexes Songwriting und treffsichere Catchphrases, die die Grundmessage zusammenfassen. Musikalisch nehmen Geese Bluesrock, Psychedelia, Americana, Hard Rock bis Indie auseinander und setzen die Trümmer wieder zusammen. Die Fachpresse nennt es Post Punk, also dem Behelfskonstrukt unter den Genrebezeichnungen. Kann alles und nichts heißen, in jedem Fall umschreibt der Begriff die Verweigerung sich festzulegen. Und das ist ja dann wieder symptomatisch für eine der derzeit aufregendsten Bands.


Geese, 3D Country, VÖ: 23.Juni.2023, Partisan Records/Play it again, Sam

Anspieltipps: 3D Country, I See Myself, Undoer, Crusades






bottom of page